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Drei Arten Hören
von Klara Baumann
Aus eigener Schülererfahrung und der Beobachtung verschiedener Unterrichtssituationen läuft nicht selten der instrumentale Einzelunterricht folgendermaßen ab: Der Schüler spielt das zuhause Geübte vor, sei es eine Etüde, Technikübungen oder ein Stück, danach spricht der Lehrer. Er kommentiert, vielleicht lobend, vielleicht tadelnd. Er äußert, was ihm gefallen hat, kritisiert, was ihm missfiel. Er macht Vorschläge, was der Schüler anders machen soll. Er fordert vielleicht den Schüler auf, eine bestimmte Stelle oder das ganze nochmal zu spielen – mit einem oder einigen Hinweisen, worauf der Schüler achten soll, was er anders machen soll. Vielleicht schlägt er auch eine Übung vor, die dem Schüler helfen soll, bestimmte Schwierigkeiten im Stück besser zu meistern. Und all dieses mit dem Ziel, dass der Schüler das Stück bzw. überhaupt sein Instrument besser spielt.
Was steckt hinter diesem besser? Der Lehrer hat eine bestimmte Idealvorstellung, wie das Instrument und das besprochene Stück zu spielen sei. Die Version des Schülers wird mit dieser Idealvorstellung abgeglichen. Dann folgt die Feststellung der Unterschiede zwischen der Schülerversion und der Idealvorstellung mit Vorschlägen wie der Schüler dieser Idealvorstellung des Lehrers näher kommt.
Ich habe den Verdacht, dass nicht gerade selten diese Idealvorstellung eines Stückes eher diffus existiert als bewusst überdacht ist und dass auch die am Schüler geäußerte Kritik eher auf einem diffus unbewusst stattfindenden Abgleich beruht, als einer bewussten vergleichenden Analyse. Sodass nicht zuletzt die darauf aufbauenden Änderungsvorschläge und konkrete Tipps, wie die Änderungen umsetzbar wären, zum Teil alles andere als treffend sind (was allerdings nicht verwunderlich ist, wenn die Idealvorstellung nur diffus unbewusst vorhanden ist). Wenn das (bewusst oder unbewusst aus eigener Unterrichtserfahrung übernommene) Selbstverständnis des Lehrers dem von mir beschriebenen Szenario entspricht, er also der Meinung ist, dem Schüler genau sagen zu müssen, wie er ein Stück zu spielen hat, und wenn meine eben geäußerten Vermutungen stimmen, dann macht er seinen Job nicht sonderlich gut.
Woran scheitert es? Am Hören und am Einordnen von dem Gehörten. Das Hören findet auf zwei Arten statt. Die erste Art des Hörens nenne ich inneres Hören, womit ich eine präzise Vorstellung von klingender Musik meine und zwar wirklich so genau und klingend, als würde man sie tatsächlich hören, aber eben nur im eigenen Kopf, deswegen inneres Hören (Gordon würde diesen Vorgang als Audiation bezeichnen). Die zweite Art des Hörens ist konventionellerer Art, nämlich das konkrete Zuhören der Schülerversion. Dann kommt die Einordnung des Gehörten, eine analytische Komponente, hinzu. Denn es geht nicht nur um ein intentionsloses Zuhören, sondern um ein Abgleichen der Schülerversion mit der inneren Version. Also zunächst um eine Analyse auf der Suche nach den Unterschieden der beiden Versionen. Danach folgt noch eine weitere höranalytische Aufgabe: Was der Schüler spieltechnisch anders gemacht hat, bzw. was er anders machen muss, um das Ideal zu erreichen. Auch das hat viel mit Hören zu tun, manchmal kann das Auge hier ein bisschen mithelfen (z.B. suboptimaler Klang durch ungeschickte Fingerhaltung, Atemtechnik o.ä.).
Nun bin ich, wie man in anderen Texten von mir lesen kann, der Meinung, dass das von mir beschriebene Unterrichtsszenario, selbst wenn es von dem Lehrenden inhaltlich sehr gut gelöst wird, nicht die anzustrebende Art des Unterrichts ist. Der Schüler handelt nicht eigenständig, er führt nur Befehle aus (egal wie freundlich formuliert), er übernimmt keine Verantwortung für sein Spielen, er ist, was sein Fortkommen angeht, vom Lehrer abhängig und – worum es mir in diesem Text geht – er gewöhnt sich nicht an (oder gewöhnt sich ab?) zu hören!
Zum einen wird der Schüler davon entbunden, sich selbst zuzuhören – was ich wesentlich schwieriger finde, als es auf den ersten Moment vielleicht scheint. Beim eigenen Musizieren ist viel mentale Kapazität oft schon durch das Spielen verbraucht – sei es Notenlesen, besondere technische Schwierigkeiten, besondere Gestaltungsvorhaben etc. Man muss es also überhaupt schaffen, noch freie mentale Kapazität auf das Hören zu verwenden. Dann fällt es vielen schwer, sich selbst mit einer neutralen Beobachterhaltung zuzuhören. Zu leicht ist die Beziehung zum eigenen Tun mit Vorurteilen belastetet, sodass man sich zum Beispiel nur mit einem pessimistisch bestätigenden „ich mache eh alles falsch“, mit einem antriebslosen „ist doch ok, so wie es ist“ oder einem verblendeten „perfekt“ (selten anzutreffen…) zuhört – anstatt überhaupt erst einmal ohne zu urteilen eine neutrale Bestandsaufnahme zu machen.
Zum anderen ist in so einem Unterricht kein Platz für das innere Hören des Schülers. Doch das braucht es, um nach einer Bestandsaufnahme selbst das eigene Spielen sinnvoll einordnen zu können. Man muss eine genaue Vorstellung entwickeln können, wie man das Stück zum Klingen bringen möchte. Grundlegende Frage könnten sein, welche Bedeutung(en) man mit dem Stück transportieren möchte und kann und wie dazu alle musikalischen Parameter (die notierten und die nicht genau notierten) gestaltet werden sollen: Tempo, Agogik, Dynamik, Phrasierung, Artikulation, Klangfarben…Um schließlich ein inneres Gehör entwickeln zu können braucht es noch eine dritte Art von Hören, die auch selten im Unterricht Platz hat oder von ihm angeregt wird: Musik hören. Anderen Musikern zuhören. Es braucht einen Fundus an tollen, schönen, inspirierenden, bewegenden, begeisternden, nachdenklich machenden, schockierenden, bestätigenden (…) Hörerfahrungen. Denn so, wie unsere Träume auch nur aus Elementen bestehen können, die wir erlebt haben, kann auch die Musik, die wir machen, nur aus schon Gehörtem bestehen. Damit meine ich nicht, blindes Kopieren anderer Musiker. Wenn man sich die Hörerfahrung in relative kleine Bausteine zerlegt vorstellt, dann hat man schnell eine unendliche Menge an Kombinationsmöglichkeiten, mit denen man Neues schaffen kann – quasi Hören recycelt beim eigenen Musizieren. Also nicht einfach Versionen anderer (des Lehrers) als Ganzes kopieren, sondern aus einem Wirrwarr gespeicherter Hörerlebnisse etwas Eigenes machen und damit den Notentext, die Musik sich zu eigen machen. Oder Musik spielend erträumen, ganz neu erfinden, ohne Notentext.
Alle drei Arten des Hörens braucht man, um musizieren zu können – auch um überhaupt sinnvoll üben zu können! Die Art von Unterricht, die eingangs beschrieben wurde, inspiriert die Schüler nicht dazu ein inneres Gehör zu entwickeln, noch sich selbst zuzuhören. Denn die Zuhörkontrolle übernimmt der Lehrer genauso wie die Vorstellung, wie etwas gespielt wird. Kein Wunder, wenn Schüler zuhause dann nur pflichtbewusst die Stücke durchspielen ohne sich wirklich damit auseinanderzusetzen – was wiederum zum immer wieder kehrenden Lamentobass der Instrumentallehrer führt, die Schüler üben nicht oder nicht richtig. Doch eigentlich muss man sich wundern, wenn überhaupt noch das Instrument gespielt wird. Denn wenn es die Rolle des Lehrers ist, primär die von ihm entdeckten Missstände aufzuzeigen (selbst wenn der Lehrer auch positives lobend hervorhebt, wird es in der Stunde inhaltlich primär um das „Falschgemachte“ gehen), gewöhnt sich der Schüler leicht ein vom pessimistischen „alles schlecht“ Vorurteil geprägtes Zuhören an, was im Extremfall gar kein Zuhören mehr ist. Sondern unabhängig vom Gespielten ein pauschales Niedermachen der eigenen Leistungen und darüber hinaus – da in unserer Gesellschaft oft eine starke Identifikation mit der eigenen Leistung besteht – der eigenen Person (wie oft höre ich von Lehrern die Einteilung von guten und schlechten Schülern nach Leistung, die auch mit einer Wert- oder Geringschätzung der Person eingeht).
Nach all diesen Überlegungen scheint es mir fatal, wenn im Instrumentalunterricht nicht gehört wird, wenn der Schüler nicht sich selbst zuhören kann, wenn er der Rollenverteilung gemäß gar nicht hören soll, wenn er nicht ein inneres Gehör entwickelt, wenn er überhaupt grundsätzlich nicht zum Hören von Musik anregt wird… denn wie soll Musik ohne Hören Sinn machen?
Instrumentalunterricht bzw. Musikschulen sollten meiner Meinung nach also nicht nur Musikmachen ermöglichen, sondern auch zentral Musik hören. Es sollte einen Fundus an Möglichkeiten vielfältiger Hörerfahrungen geboten werden (dank moderner Technik ist dies einfach, aber die Atmosphäre von einem Konzerten ist auch nicht zu unterschätzen… Mir kommen in den Sinn: Hörraume, CD-Schränke, Zugänge zu Internetmusikbibliotheken, organisierte Fahrten zu Konzerten, überhaupt viele Konzertsituationen in der Musikschule von Schülern und Lehrern…). Es muss auch ein Austausch über gemachte Hörerfahrungen stattfinden können. Der Unterricht fordert von den Schülern Eigenständigkeit, sodass die Notwendigkeit für das eigene Zuhören überhaupt entstehen kann. Er geht dabei sensibel mit der Bewertung der eigenen Leistung um, sodass keine Grundhaltung von „eh alles schlecht“ entsteht. Er trennt grundsätzlich Leistung von der Wertschätzung der Person. Er versucht ein von positiver Neugier geprägtes Zuhören beim eigenen Musikmachen zu kultivieren. Er regt dazu an, dass Schüler eine eigene vorgestellte Version des Stückes entwickeln – ein inneres Gehör. Er strebt insgesamt an, dass Schüler Musik selbst gestalten – innerlich vorstellend und aktiv handelnd, dass sie Musik hörend und spielend Bedeutung abgewinnen, ein Mitteilungsbedürfnis durch Musik entwickeln. Der Schlüssel dazu ist, ich wiederhole mich, Hören.